Streitgespräch zu einem Diskussionspapier: „Viele Ziele, wenig Plan. Warum Kommunen und die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie nicht zusammenfinden“
Die gemeinsam von der Wüstenrot-Stiftung und dem Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung getragene Veranstaltung am 4. September stellte sich der Tatsache, dass Deutschland drohe, viele seiner Nachhaltigkeitsziele zu verfehlen: „Städte und Gemeinden sind zentrale Akteure, wenn es darum geht, eine umweltfreundliche und sozial gerechte Entwicklung des Landes voranzubringen. Zwar sind deutsche Kommunen in vielen Nachhaltigkeitsfeldern aktiv, doch in der Summe führen die Aktivitäten bisher nicht zu den gewünschten Erfolgen.“
In Deutschland, dem einstigen Vorreiter einer Wende hin zu erneuerbaren und klimafreundlichen Energien, gehe seit bald zehn Jahren die Emissionen von Treibhausgasen nicht mehr zurück. Das selbstgesteckte und dringend notwendige Ziel, den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids bis 2050 praktisch Richtung Null zu fahren, scheint aktuell nicht erreichbar. Ähnlich sieht es mit anderen Zielen aus, die sich Deutschland in seiner Nachhaltigkeitsstrategie gesetzt hat. Weder Energieverbrauch und Flächeninanspruchnahme, noch die Schadstoffbelastung der Luft sinken in dem Ausmaß wie vorgenommen. Der Ausbau der Kinderbetreuung und die Schaffung von bezahlbaren Wohnraum gehen nicht schnell genug voran.
In der Studie „Globale Ansprüche, lokale Wirklichkeit. Wie unterschiedlich deutsche Kommunen eine nachhaltige Entwicklung umsetzen“ wurden die Nachhaltigkeitsaktivitäten von 10 deutschen Kommunen beleuchtet, die aufgrund ihrer Größe und Lage, ihrer wirtschaftlichen Strukturen und demografischen Entwicklung unterschiedliche Voraussetzungen aufweisen, eine nachhaltige Entwicklung voranzutreiben.
Die meisten Kommunen haben erkannt, dass sie sich mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Sie setzen lokale Klimaschutzmaßnahmen um, bauen Kindergärten oder entwickeln innerstädtische Brachflächen zu neuen Wohnstandorten. Doch in der Summe erfüllen alle bundesweiten kommunalen Anstrengungen nicht die Zielvorgaben der Bundesregierung. „Das ist eigentlich kaum verwunderlich“, meint Susanne Dähner (Berlin-Institut), „denn es gibt keinerlei Vorgaben, in welchen Themenfeldern die Kommunen aktiv werden sollen.“ Und so stellen die einen ressortübergreifende stadtweite Strategien auf und beschäftigten einen Nachhaltigkeitsmanager, während andere sich einzelne Aufgabenfelder herausgreifen, die gerade dringend sind, sich leicht behandeln lassen oder für die es Fördergelder gibt.
Das hat bisher aber nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Daher könne nicht alles ein freiwilliges Konzept bleiben, ist eine Forderung aus der im Ergebnis der o.g. Studie vorgelegten Streitschrift. Denn bisher müssen Kommunen kaum mit Konsequenzen rechnen, wenn ihre Nachhaltigkeitsbemühungen unzureichend bleiben. Es gibt weder Instanzen, welche etwa die Einhaltung der Flächensparziele kontrollieren, noch Sanktionsmöglichkeiten für Nachhaltigkeitssünder. „Wenn Bürgermeister wirklich einen Beitrag zu den deutschen Nachhaltigkeitszielen leisten wollen, müssen sie schlussendlich auch mutiger werden“, konstatiert Reiner Klingholz (Berlin-Institut): „Nehmen wir nur das Thema Verkehr, jeder weiß um die gesundheits- und umweltschädlichen Auswirkungen des Autoverkehrs, doch vor dem konsequenten Zurückdrängen des Autos aus den Innenstädten schrecken die meisten zurück.“
Im Streitgespräch debattierten die Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen Dr. Maja Göpel, die Bürgermeisterin der Stadt Brandenburg an der Havel Dr. Dietlind Tiemann sowie der Generalsekretär des Rates für Nachhaltige Entwicklung Prof. Dr. Günther Bachmann gemeinsam mit den Projektinitiatoren. Es ging vor allem darum, ob und wie die gesteckten Ziele noch zu erreichen sind.
Die meisten Podiumsteilnehmer waren sich zwar einig, dass Deutschland mit der Nachhaltigkeitsstrategie bereits ein gutes Instrument hat, sahen jedoch Verbesserungsbedarf. „Wenn wir die dringend erforderlichen Ziele in Deutschland rasch erreichen wollen, sind wir auf die Vielfalt und das Engagement der Kommunen nicht nur angewiesen, sondern müssen sie mit ihren spezifischen Schwerpunkten stärker als bisher in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie unterstützen“, betonte Stefan Krämer, stellvertretender Geschäftsführer der Wüstenrot Stiftung.
Die Streitschrift (Link unten) fasst, was zu tun ist für mehr Nachhaltigkeit, in 10 Punkten zusammen. Die Studie (Link unten) bietet mit den 10 untersuchten Kommunen unterschiedlicher Größe und Nachhaltigkeitspraxis anderen Kommunen eine Vielzahl von Anregungen auf dem Wege einer nachhaltigen Entwicklung und formuliert Anforderungen für die Entwicklung erforderlicher Instrumente auf lokaler, Landes- und Bundesebene.
Quellen: Information des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung und der Wüstenrot-Stiftung vom 04.09.2017; Streitschrift und Studie
Ft.