Tag der Dörfer 2019 in Wiesenburg/Mark bot eine gute Plattform, Chancen und Zukunftspotenziale in ländlichen Räumen zu diskutieren
Mit der provokanten Überschrift „Abwickeln oder Entwickeln?“ auf der Einladung zum 11. Tag der Dörfer griffen die Veranstalter (Brandenburg 21 e.V., Dorfbewegung Brandenburg e.V. und Dorfnetzwerk Hoher Fläming) eine bundesweit kontrovers diskutierte Frage zur Zukunft der Dörfer auf. Unterstützt wurde die Tagung durch RENN.mitte, die LAG Fläming Havel e.V. und „Miteinander reden“.
Erfolgreiche Dorfakteure stellten ihre Projekte und Ergebnisse vor und diskutierten mit den rund 50 Teilnehmer*innen neue Ideen, wie die Dörfer sich zukunftsgerichtet entwickeln können und die Politik durch förderliche Rahmenbedingungen diesen Prozess noch wirksamer flankieren kann. Die Tagung wurde moderiert von Dagmar Schmidt (Brandenburg 21) und Günther Thiele (Dorfbewegung Brandenburg).
Marco Beckendorf (Bürgermeister von Wiesenburg/Mark) verband sein Grußwort mit dem Appell, die Förderstrategie der Landesregierung „Stärken stärken“ zugunsten des ländlichen Raums zu überdenken. Ziel sollte sein, überall gute Lebensbedingungen zu gewährleisten. Ralf Rafelt (Dorfnetzwerk Hoher Fläming) verwies auf ein vom Dörfernetzwerk erarbeitetes Leitbild und setzte sich dafür ein, durch politische Bildung die Voraussetzungen für die Mitbestimmung in den Dörfern zu verbessern.
In einem interessanten und anregenden Impulsbeitrag schilderte Martin Kuder (Wertewandel e.V.), wie junge Leute ländliche Räume neu gestalten und damit zukunftsfähige Perspektiven schaffen. Dies stellte er anhand verschiedener durch den Verein durchgeführter Projekte vor:
In der Lausitz entstanden gemeinsam mit Design-Student*innen Bekleidungsentwürfe, die von sorbischen Motiven inspiriert waren („Aus Tradition Zukunft gestalten“).
In einer Sommeruniversität entwickelten 30 Student*innen gemeinsam mit den Einwohner*innen verschiedener Dörfer in „Küchentischgesprächen“ Zukunftskonzepte.
Im Modellprojekt „Lokalhelden – Gründerwerkstatt für den ländlichen Raum“ wurden junge Leute gefördert, die Unternehmensgründungen im ländlichen Raum umsetzen. Das Projekt besteht aus mehreren Ebenen - der Gründerwerkstatt mit 35 Teilnehmern, Ausbildung/Beratung und der Community. Mittlerweile hat die Mehrzahl der Werkstatt-Teilnehmer Kleinstunternehmen gegründet. Ziel ist es auch, die verschiedenen Akteure miteinander zu vernetzen. Kuder schilderte, wie es den „Lokalhelden“ gelang, Win-Win-Situationen zwischen den Gemeinden und den Gründer*innen anzuregen. Unterstützt wurde das Modellprojekt von der Schweizer Drosos-Stiftung.
„Dorfakteure im Gespräch“ widmeten sich den Themen Entwicklungschancen durch Digitalisierung, Dorfbewegung und kommunale Finanzen. Zu ersterem sieht Dr. Ariane Sept (Institut für Raumbezogene Sozialforschung Erkner) zwei Voraussetzungen: (technische) Verfügbarkeit und die Kompetenzen für die Nutzung. Um die Digitalisierung als Chance nutzen zu können, seien Anpassungen von Regelungen (z.B. Arbeits- und Datenschutz) erforderlich. Apps sollten dorfbezogen entwickelt werden. Es gehe um Techniken für Lösungen, die das Leben besser machen. Das beinhalte u.a. Bereiche wie Mobilität; hier nannte sie Projekte wie die „Mitfahrerbank“. Frank Schütz (Bürgermeister von Golzow im Oderbruch) setzte sich als Vertreter der Dorfbewegung für die Selbstaktivierung vor Ort ein. Es gehe nicht um Gegenüberstellung von Städten und Dörfern, sondern um ein Selbstverständnis als „ländlich geprägte Region mit Dörfern und Städten“ und aus diesem Verständnis abgeleitete Ansprüche. Der Diskurs müsse dahin gehen, „Ortsteile“ als Orte zu verstehen. Warum steht – so eine Diskussionsmeldung – mein Geburtsort nicht im Personalausweis? Identitätsprägend sei das ursprüngliche Ortsschild. Marco Beckendorf setzte sich für eine gleichberechtigte Mittelzuweisung für den ländlichen Raum im Vergleich zu Städten ein. Es dürfe nicht nur die Größe und Bevölkerungsdichte bei der Mittelvergabe entscheidend sein. Auch in den Dörfern seien Schulen und Kitas zu finanzieren, um die Dörfer für junge Familien attraktiv zu machen und Zuzug zu befördern. Der Landtagsabgeordnete André Schaller (ehem. Bürgermeister von Rüdersdorf) stimmte dem zu und rief dazu auf, die Dorfbewegung mit Leben zu erfüllen und dabei eng mit dem Städte- und Gemeindebund zusammenzuarbeiten.
In den Arbeitsgruppen
- Dorfbewegung
- Dörfer neu gedacht – Entwicklungschance digitale Welt
- Kommunale Finanzen
- Lebensmittel/Ernährungsräte
wurden die bereits mit den Podiumsgesprächen angeschnittenen Themen vertieft.
In seinem Resümee verwies Peter Ligner (Vorsitzender von Brandenburg 21 e.V.) darauf, dass sich die neue Landesregierung in der Koalitionsvereinbarung dazu bekannt hat, die Ergebnisse der Enquetekommission „Zukunft der ländlichen Regionen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels“ in ihrer Arbeit zu berücksichtigen. Das sei ein Grund „nachzuhaken“, damit dieses Versprechen mit Inhalt gefüllt wird. Ein Ausblick auf 2020: RENN.mitte wird einen länderübergreifenden Erfahrungsaustausch zu ländlichen Räumen unter Beachtung der konkreten Interessenlagen durchführen. Frank Schütz forderte dazu auf, auch die Ankündigung in der Koalitionsvereinbarung, ein Parlament der Dörfer zu unterstützen, beim Wort zu nehmen. Die Kooperation von Brandenburg 21 und Dorfbewegung solle fortgesetzt werden, empfahl Frank Schütz.
Ein herzlicher Dank von Günther Thiele (Dorfbewegung) und Ralf Rafelt (Dorfnetzwerk hoher Fläming) galt allen Beteiligten und Helfern, die zum Gelingen der Tagung beitrugen.
Gerold Fierment und Katja Neugebauer (Brandenburg 21 e.V.)